Niemand hegt einen Zweifel daran, dass du sowohl deine Tochter als auch deinen Enkel über alles liebst und nur das Beste für sie möchtest. Aber weil du anscheinend die einzige im Haus bist, die einen gewissen Wert auf ein tadelloses und sittsames Leben, auf Sauberkeit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit legt, sind Ärgernisse natürlich an der Tagesordnung. Bei der Führung der Farm lässt du Helen freie Hand. Du erkennst ihr Talent und ihr Durchsetzungsvermögen an. Dir imponiert ihre Klarsicht, ihre Willensstärke ebenso, wie ihre Sturheit dich ärgern kann. Dich schmerzen die Gerüchte und das Gerede im Dorf über das lose Verhalten deiner einzigen Tochter und du wirst nicht müde, sie daran zu erinnern, dass eine Heirat mit einem anständigen Mann die einzige Möglichkeit wäre, diesen gemeinen Schmähungen Einhalt zu gebieten. Auch fehlt dem Jungen dringend ein Vater, denn sein immer zügelloser werdendes Verhalten gibt dir täglich Grund zur Sorge. Calvin hat den Sturkopf der Familie geerbt und seine Erziehung lässt ordentlich zu wünschen übrig. Nicht, dass du nicht nach Kräften versuchen würdest, endlich einen anständigen Jungen aus ihm zu machen, doch manchmal gleicht es einem Kampf gegen Windmühlen. Zumal Helen ihm einfach viel zu viele Freiheiten lässt, egal wie oft du ihr ins Gewissen redest und erklärst, dass ein Junge eine straffe Hand, klare Grenzen und ein geregeltes Familienleben braucht.

Du bist die klassische Großmutter in einer recht untypischen Familiensituation. Nach dem Tod deines Mannes vor zwanzig Jahren hast du deine einzige Tochter alleine aufgezogen und nebenher den Betrieb weitergeführt, bis Helen reif genug war, sich alleine um alles zu kümmern. Natürlich war das nicht als Dauerlösung vorgesehen, schließlich hattest du angenommen, sie würde heiraten und an der Seite eines tüchtigen Mannes eine Familie gründen. Stattdessen kümmerst du dich heute um den Haushalt, bäckst, kochst und putzt, während Helen Geschäfte macht, den Hof in Schuss hält und ihr Bett mit fremden Männern teilt. Dazwischen tanzt euch beiden ein fideler Zehnjähriger auf der Nase herum, den ihr gemeinsam großgezogen habt. Mit der Zeit hast du dich an die ungewöhnlichen Zustände im Hause Alcott gewöhnt, auch wenn kaum ein Tag vergeht, an dem du deine Tochter nicht von den Vorteilen einer Ehe zu überzeugen versuchst.

Deine Ansichten sind keineswegs modern. Eine brave Frau gehört an den Herd und ein anständiger Mann hat für seine Familie zu sorgen. Artige Kinder haben zu gehorchen und sich nicht herumzutreiben. Ein Gebet vor dem Zubettgehen und vor jeder Mahlzeit ist das Mindeste und der Besuch der Messe am Sonntag ein Pflichttermin. Da lässt du nicht mit dir verhandeln. Die Sünde nimmst du entsprechend ernst, bist dabei aber nicht bigott. Dein tiefer Glaube und dein Vertrauen auf Gott haben dir geholfen, mit allen Schwierigkeiten in der Vergangenheit umzugehen. Dir ist klar, dass deine kleine Familie keinen deiner Ansprüche wirklich erfüllt, an einem Tag kannst du darüber schmunzeln, an einem anderen würdest du am liebsten darüber zusammenbrechen. Aber du wirst nicht müde, stets dahinter her zu sein, dass eines Tages doch noch alles in geordnete Bahnen gerät. Möglichst, bevor der liebe Gott dich zu sich nimmt.

Du besitzt Humor und meinst es gut, wenn man es gut mit dir meint. Du gehst in deiner Rolle als Hausfrau auf und führst ein resolutes Regiment in deiner Küche. Deine bissigen Kommentare sind bei den Bewohnern der Snowflake-Ranch ebenso gefürchtet wie deine Kochkunst allseits geschätzt wird. Es wird in deiner Gegenwart besser nicht geflucht und wenn jemand mit dreckigen Stiefeln über den frisch gewienerten Flur marschiert, kannst du schonmal zur Furie werden.

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